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Die Inhalte
der Zeitschrift
WortGottesFeiern
Der Aufbau
einer Wort-Gottes-Feier
Die Herausgeber
Einführung
Texte, die quer laufen, werden zu einem Gewebe: Fastentuch
Es war nach der letzten Osternacht. Ich kam froh in den Saal, der gefüllt war mit Menschen, ihren Worten, ihrem Lachen. Ostern.

Es dauerte nicht lange, da traten drei auf mich zu, deren Freude war nicht groß. Die Aufregung war zu spüren. Da lief ein Text, der eben noch als Wort Gottes verkündet wurde, dagegen oder quer: »Warum diesen Text heute noch lesen? Und dann noch so unkommentiert? Wenn der wieder gelesen wird, stehe ich nächstes Mal auf und gehe.«

Die Bindung des Isaak (Gen 22,1–18), wie diese Perikope in der jüdischen Tradition genannt wird. Isaak wird gebunden auf den Altar gelegt, er wird nicht geopfert. So weit kommt es nicht. Und doch geht diese zweite Lesung in der Osternacht unter die Haut. Sie stellt uns Vater und Sohn vor Augen, die ihren Weg gehen. Die Worte, die sie sprechen, sind karg. Geopfert wird nachher der Widder, der sich im Dornengestrüpp verfangen hat. Unblutig zieht sich diese Lesung nicht aus der Versammlung mit den vielen brennenden Kerzen und der Nacht, die doch so anders ist als alle anderen Nächte.

Es wird nicht erzählt, wie der Vater seinen Sohn wieder losgebunden hat. Wie sie sich in die Augen schauten in den Augenblicken des Bindens und des Lösens. Diese Lesung läuft quer, regt auf, wühlt auf. Sie machte die drei zornig, so dass sie es kaum noch in der Kirche aushalten konnten. Sie waren geblieben, standen nun in der frohen Osterstimmung der anderen im Saal mit ihrer Aufregung, ihrem Zorn. Ich konnte nicht viel sagen, nur hören, weil die Worte keine Pause zuließen. Und auch am Ende konnte ich mit keinem Wort ein Fenster zu einer anderen Sicht eröffnen. Der Eindruck blieb bei den massiven Bildern, bei dem, was sie auslösten, und das Gehörte blieb in dem, was als schrecklich und furchtbar sich eingeprägt hatte.

Worte der heiligen Schrift, die quer laufen, kommen immer wieder vor. Manche sind aus der Liturgie verbannt. Und doch sind sie nicht in einem Geheimschrank verschlossen, sind in der Bibel zu lesen, sie sind da. Da kommt das Böse vor, Gott, der vernichtet, Kampf, Krieg, Menschen werden zerstückelt, gequält, übers Ohr gehauen, Unrecht geschieht.

Wir wollen in unserer Gemeinde Texte der Schrift, die quer laufen, die ich nicht fassen kann, die mich aufregen, die nicht mit Gott in Beziehung zu bekommen sind, aufschreiben und wie ein Gewand am großen Fastentuch befestigen. Dieses Fastentuch ist aus 150 Stoffwindeln genäht. Sie wurden in der Weihnachtszeit an der Krippe gesammelt.

Jetzt sind alle eingeladen, solche Texte der Schrift auf Seidenpapier aufzuschreiben, die ihnen quer laufen, die ärgern, von denen sie nicht begreifen können, dass sie in der Bibel stehen. Eine Künstlerin, die diese Idee hatte, wird sie dann mit Wachs überpinseln und wie zu einem Gewand zusammenfügen, das sich über das Fastentuch aus den Stoffwindeln legt.

An den Sonntagen werden die Fastenpredigten sich mit solchen Texten befassen, und vielleicht wird es auch zu dem Austausch führen, wozu uns die Schrift immer wieder fordert: Gemeinsam hören und einander fragen. Ob sich dann alles klären wird?

Auf vielfältige Weise haben sich die Glaubenden und Gott Suchenden und an ihm Verzweifelnden auseinander gesetzt mit dem Bösen in der Welt, der Frage nach dem Leid, dem Unrecht, dem Leiden der Gerechten. Die Judaistin Gabrielle Oberhänsli-Widmer schreibt:

»Im jüdischen Rahmen der Theodizee entwickelt sich ausgehend von Hiobs biblischen Klagen das Motiv des Din Thoire, eines Prozesses vor einem rabbinischen Schiedsgericht, wobei der Angeklagte kein Geringerer als Gott höchstpersönlich ist, und welcher wiederholt schuldig gesprochen wird, sein auserwähltes Volk verlassen, verraten und getötet zu haben. Doch was passiert, nachdem man Gott verurteilt hat? Elie Wiesel inszeniert ein solches Verfahren in seinem Drama »Der Prozess von Schamgorod« (1979) und berichtet ebenso in einem Gespräch über seine persönliche Biographie, als er Zeuge eines realen Din Thoire in einem der Todeslager war:

»Die Verhandlungen des Tribunals zogen sich lange hin. Und schließlich verkündet der Vorsitzende das Urteil: Schuldig. Und dann herrschte Schweigen, ein Schweigen, das mich an das Schweigen am Sinai erinnerte, ein endloses, ewiges Schweigen. Aber schließlich sagte mein Lehrer, der Rabbi: Und nun, meine Freunde, lasst uns gehen und beten. Und wir beteten zu Gott, der gerade, wenige Minuten vorher für schuldig erklärt worden war.«

So wie die Juden sich wieder zum Beten anschickten, nachdem sie Gott verurteilt haben, so wenden sich die Rabbinen erneut und unentwegt der Reflexion über das Rätsel des Bösen zu, auch und gerade nachdem sie erklärt haben, dass es im Grunde unlösbar sei.«


Gewiss, es ist ein ganz anderer Zusammenhang. Und doch wird erfahrbar, wie in jeder Generation die, die sich diesem Gott zuwenden, nicht loslassen und gerade auch in dem, was nicht zu begreifen ist, was verwundet, tötet, böse ist, was sich quer stellt und auch uns IHN verstellt, nicht schweigen, sich nicht zurückziehen. Eine Antwort auf diese Worte nach der Feier der Osternacht wird das große Fastentuch mit den Schriftworten sein, die Menschen aufgeschrieben haben.

Nicht loslassen
in diesem Gewebe der Worte,
weil die Lebensfäden aller
hineinverwoben sind.

Eine gesegnete Österliche Bußzeit und ein frohes Osterfest!

Heinz Vogel

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